Im derzeitigen Entwicklungsprozess der Umsetzung von Inklusion im Bremer Schulsystem wird häufig aus den Schulen von einer strukturellen Unterversorgung in Hinblick auf personell-fachliche, sächliche und räumliche Ressourcen berichtet. Die Folge ist, dass eine verantwortungsvolle Versorgung an Unterrichtung und Erziehung von Schüler_innen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen einerseits sowie auch allen anderen im Schulsystem befindlichen Schüler_innen andererseits nicht adäquat geleistet werden kann, so wie es in dem Entwicklungsplan Inklusion beschrieben wurde. Je nach Umfang der Unterversorgung lässt sich zunehmend eine Risikobelastung im Hinblick auf die psychosoziale Persönlichkeitsentwicklung der Schüler_innen in dem System feststellen.
Auch verursachen die im Zuge der Oberschulentwicklung und Inklusionsumsetzung organisatorischen und professionellen An- und Überforderungen im Schulalltag für die an Schule befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine enorme Belastungssituation. Durch diese zunehmende Überlastung des pädagogischen Personals kommt es zu einem vermehrten Ruf nach exklusiven Beschulungsformen, was die Grundidee eines inklusiven Bildungssystems zunehmend ad absurdum führt. Eine besonnene und fachlich abgesicherte Entwicklung und Organisation von notwendigen Übergangs- und besonderen Förder-/Unterstützungssystemen, für einen Teil der Schülerschaft wird unter den gegeben Bedingungen zunehmend unmöglich gemacht. Leidtragende sind dabei die Schüler_innen, die Eltern sowie die Kolleginnen und Kollegen an den Standorten.
In den sogenannten „Inklusionsklassen" befinden sich oftmals schon zu Beginn der 5. Klasse mehr als fünf Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf als formal festgestellt wurden. Die bestehende Stundenressource bleibt dabei, unabhängig von weiteren Schüler_innen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen, die im Laufe der Oberschulzeit noch zugewiesen oder diagnostiziert werden, unverändert.
Es ist aus den Schulen immer wieder zu hören, dass Sonderpädagogen mehr als punktuell für Vertretung eingesetzt werden und oftmals auch über längere Zeiträume ganze Klassenverbände unterrichten. Die Folge ist, dass eine fachliche Versorgung der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf teilweise nicht gewährleistet ist.
Das Fehlen entsprechender Räume führt dazu, dass die Fördermöglichkeiten der Schüler_innen eingeschränkt bleiben und zu einer deutlichen physischen und psychischen Belastung der beteiligten Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte werden.
Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren ReBUZ
Gemäß der Vorgabe des Gesetzesblatt „Erste Verordnung für unterstützende Pädagogik" mit Gültigkeit ab dem 01.08.2013 unter §5 Abs. (3) haben die Regionalen Beratungszentren u. a. die Aufgabe
- "individuelle Problemlagen von Hilfesuchenden zu klären und Angebote zu ihrer Prävention, Beratung, Unterstützung und Förderung zu entwickeln,
- das Feststellungsverfahren für den sonderpädagogischen Bereich soziale und emotionale Entwicklung durchzuführen,
- die Unterstützungs- und Fördermaßnahmen zu steuern
- schulpsychologische Beratung und Diagnose durchzuführen (...)"
(Erste Verordnung für unterstützende Pädagogik – SfBuW §5 (3)
Eine angemessene Umsetzung der formulierten Aufgabenbereiche durch die ReBUZ ist derzeit durch eine noch nicht der Zielvorgabe entsprechenden personellen Ausstattung u. a. in Bezug auf erfahrene und qualifizierte Sonderpädagoginnen und Sonderpädago-gen sowie der erforderlichen Multiprofessionalität nicht ausreichend gewährleistet.
Bei der Beratungs- und Unterstützungsarbeit von Seiten der ReBUZ insbesondere bei Schülerinnen und Schüler mit sozial-emotionalen Auffälligkeiten ist eine umfangreiche Klärung und Diagnostik erforderlich. Dies braucht neben den entsprechenden Fachkom-petenzen auch einen adäquaten Zeitrahmen, um mit allen Beteiligten zu einer zielführen-den und nachhaltigen Entwicklung weiterer Schritte im Sinne der Schüler_innen zu gelangen.
Die Beratung durch die ReBUZ stößt im schulischen Kontext zunehmend auf erschöpfte Systeme, welche eine notwendige Flexibilität individueller schulischer Anpassung an die Bedarfe der Schüler_innen kaum noch aufbringen können. Zwar ist der Ruf nach exklusi-ven statt alternativen Beschulungsformen für bestimmte Schüler_innen aus Sicht der Schule und aus der Perspektive der belasteten Kinder und Jugendlichen nachvollziehbar, jedoch aus fachlicher Sicht häufig nur schwer zu rechtfertigen, wenn eine inklusive Be-schulung prinzipiell möglich wäre.
Die im Schulgesetz unter § 55 Abs. (4) formulierten Aufträge, an die Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren, Angebote zur Erfüllung der Schulpflicht bereit zu stel-len, konnten bis heute aufgrund fehlender Räumlichkeiten sowie der notwendigen Aus-stattung mit sonderpädagogischen und sozialpädagogischen Fachkräften noch nicht re-alisiert werden.
Berufsorientierung / Berufsvorbereitung
Den beruflichen Schulen fehlt es an sonderpädagogischer Fachkompetenz. Eine professionelle Unterstützung und Förderung der Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist somit nicht gewährleistet.
Die Rahmenrichtlinien zur beruflichen Orientierung sehen verbindlich die Erstellung eines entsprechenden Konzepts unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler vor. Bislang gibt es ein solches Konzept nur an einzelnen Oberschulen. Die besonderen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Curriculum, das z.B. auch die Vorbereitung auf eine eigenständige Teilhabe in der Gesellschaft berücksichtigt) werden darin kaum bis gar nicht erfasst.
Als Abschluss nach 10 Schuljahren im inklusiven System ist bislang keine individualisierte Zertifizierung für alle Schülerinnen und Schüler möglich, sondern nach wie vor wird eine Einstufung in drei Kategorien (Berufsbildungsreife, Mittlerer Schulabschluss, Abitur) vorgenommen. Können diese Niveaustufen aufgrund des sonderpädagogischen För-derbedarfs nicht erreicht werden, erhalten die Schüler_innen lediglich ein Abgangszeug-nis.
Aus-, Fort- und Weiterbildung
Vor dem Hintergrund unzureichender struktureller und konzeptioneller Rahmenbedingun-gen im aktuell existierenden inklusiven Bildungssystem können Aus- und Fortbildungsinhalte im Bereich der sonderpädagogische Kompetenzen nicht adäquat und systema-tisch entfaltet, erprobt und evaluiert werden. Dies führt dazu, dass auf individuelle Problemlagen bei Kindern und Jugendlichen in nicht erforderlichem Maße eingegangen werden kann und es somit zu einer eklatanten Verschlechterung der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit spezifischen Unterstützungs- und Förderbedarf kommt.
Zur Anpassung an die aktuellen bildungspolitischen Anforderungen gibt es aktuell noch nicht genügend konzeptionelle Konsequenzen für eine systematisch abgestimmte Professionalisierung aller Lehrkräfte hin zu Inklusionslehrkräften mit spezifizierbaren Arbeitsbereichen und Aufgabenfeldern in allen Phasen der Lehrerbildung.
Eine fachspezifische Ausstattung in der Ausbildung 2. Phase in der die unterschiedlichen Förderschwerpunkte mit entsprechender Fachkompetenz spezifisch abgebildet werden, ist nicht mehr gewährleistet. Es besteht die Gefahr, dass die Sonderpädagogik zur Querschnittaufgabe verflacht, und nicht mehr als spezifischer Bildungsbereich identifizierbar bleibt.